Int. ETHNO JAZZ mit dem AVA TRIO
Musiker sind Reisende in Klang und Raum. Wenn sie Zeit mit uns verbringen, dann kann diese zu etwas sehr Kostbaren und Einzigartigen werden: So geschehen beim Konzert von AVA am Donnerstagabend im Antoniushof.
AVA ist ein persisches Wort, das so viel wie Klang aber auch Melodie bedeutet. Wundersam erleben konnten die Zuhörer zwei Sets in den aus Rhythmus Geräusch, aus Geräusch Melodie und aus Melodie Rhythmus wurde. Die klanglichen Möglichkeiten der Instrumente wurden akribisch erforscht: Da war der Kontrabass, elektronisch verstärkt und mit allerlei Effektgeräten klanglich modifiziert. Er wurde von Esat Ekincioglu aus Groningen gestrichen, gestreichelt, geklopft, gekratzt, geschlagen, gezupft, gezogen, mit dem Trommelschlegel traktiert und gelegentlich gedehnt. Der Bass ist ein alter Haudegen von Instrument, gezeichnet von den Spuren derart im eigentlich wesensfremder Klangerzeugung. Ein alter Brummbär voll von sympathischen Tief-Tönen, die teilweise an mongolische Obertonsänger erinnerten.
Während also der Bass als erweitertes Schlagzeug und Melodieinstrument diente, taten es ihm die Perkussionsinstrumente in jeder Hinsicht nach. Um Bambusstäbe ergänzt, wurde das Drummset ebenfalls zur Melodieerzeugung verfremdet. Ein halbes Dutzend Tambourins und eine Trommel wie aus einem Spielmannszug wurden von Pino Basile aus Altamura geschlagen, gestreichelt und mit einer großen Bandbreite an Besen, Schlegeln und Stecken gespielt. Dabei getragen, geworfen, gerollt und mit Schellen, Becken, Kuh-, Ziegen und Schafsglocken beworfen, belegt, wieder befreit, mit den Händen geknetet und gestreichelt.
Der Holzbläser Giuseppe Doronzo aus Amsterdam wollte da nicht zurück stehen. Der Klangmagier zauberte aus seinen Instrumenten Klänge, die man sicher so in Wiesenbach noch nicht gehört hat. Das Klappern der Ventile wurde Teil der Rhythmusmaschine, virtuos gespielt wurden Baritonsaxophon und Bassklarinette in ihrer jeweils vollen Bandbreite ausgelotet und ausgereizt, aber niemals überreizt.
AVA war kein Konzert im engeren Sinne es war ein ganzes Festival, komprimiert auf zwei Stunden Jazz, Geräusch- und Weltmusik. Die Zuhörer fühlten sich mal nach Montreux versetzt, mal ins Oberbayerische Burghausen, mal ins Schweizerische Lugano. Die komplexen Klangsysteme, die hier geboten wurden, verwoben und durchbrochen von Disharmonien, wurden immer wieder eingefangen in Melodien, die teils orientalisch, teils iberisch daher kamen, um dann auch mal wieder in einem good old New York Jazzstandard zu münden. Bei AVA gleicht kein Abend dem anderen, jedes Konzert ist eine Welturaufführung – die Musiker geben sich die Räume, die sie brauchen, aber stehen sich nie im Weg. Es wird auch nie langatmig oder zu komplex oder zu verkopft, wie man das manchmal vom Jazz kennt: Es ist immer Musik aus dem Bauch für den Bauch.
Es kommt bei derart virtuoser Klangerzeugung zu einer konzertanten Wechselwirkung zwischen dem Ort der Aufführung und den Eindrücken, die bei der Anreise gewonnen wurden. Sie nehmen sich Zeit, sie stellen Fragen: Wie Anthropologen gehen sie vor dem Konzert auf Exkursion. Erkunden das Dorf bei Spaziergängen, nehmen klanglich bezug auf das Gesehene und Gehörte.
Der Perkussionist Pino Basile ist mal der tanzende Derwisch, mal das wütende Rumpelstilzchen, sein ökologischer Fußabdruck ist ihm wichtig, weshalb er seine Instrumente aus Recyclingmaterialien und nachwachsenden Rohstoffen baut. Giuseppe Doronzo am Saxophon hilft auch mal mit dem Gong aus, gefühlvoll gehämmert und greift schließlich zum Bandari Dudelsack aus dem Iran, dem man noch ansieht, dass er mal ein Lamm oder Kitz war. Mit einem Mundstückwechsel wird aus dem Sax ein Blechblasinstrument, das irgendwo zwischen Alphorn und Trompete tönt, das Mundstück selbst wird abgeschraubt und zur Vogelpfeife oder es wird durch ein Stück Schlauch ersetzt, dass aus einer Westentasche gezaubert wurde. Dem Sax geht es dabei wie dem Kontrabass: Es ist gezeichnet vom täglichen Gebrauch, es braucht kein schimmerndes Gold, es strahlt alleine durch seine Klänge.
AVA haben türkische und italienische Wurzeln, aber sie sind auch weit gereist. Bali und Teheran, Boston und San Francisco und nicht zuletzt China, wo das Publikum viel jünger sei, als in Europa...
Bleibt abschließend zu erwähnen, dass der große Saal im Antoniushof auch als Jazzclub eine gute Figur macht. Der schwingend verlegte Tanzboden mit dem Bambusparkett ist ein hervorragender Resonanzraum für tiefe Töne, gleichzeitig gibt es aber keinen störenden Hall. Die Musiker haben sich dort so wohl gefühlt, dass sie am einem Wochenende im September 2023 wieder kommen wollen.
Note the name! Save the date!
Text und Bild: Samuel Fleiner, Veröffentlichung frei.
Eintrittkarten gibt's an der Abendkasse.
